Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass bei einem Gebäude, das sowohl unternehmerisch als auch privat genutzt wird, der Vorsteuerabzug nicht nur für den unternehmerischen Teil, sondern auch für den privaten Wohnteil möglich ist.
Bisherige umsatzsteuerliche Behandlung der Privatnutzung
Nach bisheriger deutscher Rechtsauffassung war kein Vorsteuerabzug für den privat genutzten Teil eines Gebäudes möglich! Bei Zuordnung zum Privatbereich war die Privatnutzung nicht steuerbar, mit der Folge dass dies ein Vorgang war, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte.
Auffassung des EuGH
Das Urteil des EuGH besagt nun, dass die Regelungen der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie der deutschen Verwaltungsauffassung entgegenstehen, was bedeutet, dass der auf den privat genutzten Gebäudeteil entfallende Vorsteuerbetrag nicht mehr vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen werden kann! Somit ist der Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten eines unternehmerisch genutzten Gebäudes mit darin befindlichen privat genutzten Räumen in voller Höhe zulässig.
Konsequenzen für die Praxis
Der Unternehmer hat also zukünftig bei sog. gemischtgenutzten Grundstücken das Wahlrecht, das gesamte Grundstück dem Unternehmen zuzuordnen. Die Zuordnungsentscheidung erfolgt durch den Vorsteuerabzug, wenn er die Vorsteuer aus den Baukosten mit 100% abzieht. Diese Zuordnung des gesamten Grundstücks zum Unternehmen ist allerdings nur zulässig, wenn die unternehmerische Nutzung mindestens 10% beträgt.
Andererseits ist die Privatnutzung der eigenen Wohnung dann eine Leistungsentnahme, die zwingend umsatzsteuerpflichtig ist.
Bemessungsgrundlage sind die Kosten, die auf die Privatnutzung entfallen, soweit ein Vorsteuerabzug möglich war.
Aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden sind also solche Kosten, die nicht zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben, z.B. Zinsen, Versicherungen und Gebühren.
Beispiel
Handwerksmeister Schreiner baut ein Haus, das er zu 40% für seine Werkstatt und zu 60% privat nutzen will. Die Herstellungskosten des Gebäudes betragen 500.000 EUR + 80.000 EUR Umsatzsteuer. Davon entfallen 60% = 300.000 EUR + 48.000 EUR Umsatzsteuer auf den privaten Wohnteil.
Er kann die Vorsteuer aus den Herstellungskosten mit 80.000 EUR voll abziehen, denn er nutzt das Gebäude ausschließlich für die steuerpflichtigen Umsätze seines Handwerkbetriebs sowie die steuerpflichtige Privatnutzung.
Ab Fertigstellung des Gebäudes muss er die Privatnutzung versteuern. Es entsteht Umsatzsteuer aus der Abschreibung für das Gebäude aus dem selbstgenutzten Wohnteil mit 300.000 EUR x 2% = 6.000 EUR x 16% = 960 EUR pro Jahr.
Nutzt er das Gebäude über die gesamte Nutzungsdauer von 50 Jahren unverändert zu 60% privat, bezahlt er 50 x 960 EUR = 48.000 EUR Umsatzsteuer. Der Vorsteuerabzug für den selbstgenutzten Wohnteil, den er in der Bauphase geltend gemacht hat, wird also in 50 Jahresraten an das Finanzamt zurückgezahlt.
Es entsteht somit durch die Rückzahlung der Vorsteuer über einen längeren Zeitraum ein erheblicher Liquiditätsvorteil!
Sollte er den Wohnteil jedoch vor Ablauf von 50 Jahren in den Privatbereich entnehmen, was jederzeit möglich ist, entfällt die Besteuerung der Privatnutzung. Dann wäre der Vorteil aus dem Vorsteuerabzug der Herstellungskosten endgültig! Sollte dies innerhalb von 10 Jahren passieren, muss die Vorsteuer anteilig zurückgezahlt werden.
Die Finanzverwaltung hat noch nicht auf das Urteil des EuGH reagiert und wartet die Folgeentscheidung des Bundesfinanzhofes ab. Derzeit vertritt sie noch die bisherige Auffassung, nach der ein Vorsteuerabzug für den selbstgenutzten Teil nicht möglich ist.
Trotzdem wird die neue EuGH-Rechtsprechung von der Verwaltung beachtet werden müssen.